Eine Stoffgeschichte von Holger Hübner
Ich finde das eine sehr schöne Idee, mit deren Umsetzung Sie, Frau Mühlig, beauftragt worden sind. Ja, und wenn man nachfolgenden Generationen damit verschiedene Momente und Aspekte der heimatlichen Geschichte verständlich machen kann, freut mich das umso mehr.
Damit erhält dieser schlichte rote, mehrfach zerstückelte und zusammengeknotete Leinenstreifen eine wunderbare neue Aufgabe. Er ist in der Tat ein Zeitdokument. Er hat eine Rolle in Kleinmachnows Geschichte gespielt und natürlich wissen die allermeisten DDR-Bewohner gar nichts von seiner früheren Funktion, weil sie damals nie an die vorderste Grenzlinie kamen, schon gar nicht, wenn diese geöffnet - also ohne Grenzbefestigung - war. Auch von westlicher Seite haben die allermeisten Menschen nie einen solchen Streifen "in Funktion" gesehen.
Gut ein halbes Jahr vor der Grenzöffnung in Kleinmachnow, am 16. März 1989, habe ich Fotos gemacht vom Neubau der Mauer auf dem Gelände des ehemaligen Eberswalder Güterbahnhofs (Prenzlauer Berg / Wedding) nach dem letzten Gebietstausch. Man sieht den Fortschritt bei den Bauarbeiten. Wo noch keine Mauer steht, ist von den Grenztruppen ein mobiler Zaun aufgestellt worden. Aber noch vor dem Zaun und unmittelbar hinter dem Schild "Fin du secteur français" sieht man den dort gespannten roten Leinenstreifen. Festgemacht war er an in den Boden geschlagenen (oder fest hineingesteckten) Eisenstäben. Ein Grenzaufklärer steht dort vor der neuen Mauer, aber hinter dem Leinenstreifen, der zur vordersten Grenzmarkierung diente.
Und das war auch die Aufgabe des Streifens, den ich am Abend des 11.12.1989 an der Karl-Marx-Straße fand, während des Abbaus der Mauersegmente. Es war ein bitterkalter Abend. Irgendwo im Halbdunkel zwischen den Spanischen Reitern östlich vom neuen Grenzübergang lag das rote Leinenband. Nach meiner Beobachtung beim Bau der neuen Mauer in Prenzlauer Berg nur 9 Monate vorher, wusste ich um die Bedeutung eines solchen Stoffbandes und habe es deshalb aufgehoben, als ich es zufällig entdeckte. Viel, viel später habe ich es Axel Müller vom Kleinmachnower Heimatverein übergeben.
„An dieser Stelle will ich eine erlebte Episode einflechten vom Abend des 11. Dezember 1989. Am Morgen dieses Tages wurde der 23. Grenzübergang eröffnet, zwischen dem südwestlichen Berliner Bezirk Zehlendorf und dem Villenvorort Kleinmachnow. Am Abend gab es ein Volksfest am neuen Grenzübergang. Es fanden keinerlei Kontrollen statt. Man ging einfach hin und her – ganz so, als gäbe es keine staatliche Trennung. Und da stand an diesem Übergang ein junger Soldat der DDR-Grenztruppen, 19 Jahre alt. Der schüttelte immer wieder den Kopf und sagte, er könne das alles nicht fassen. Am Morgen sei er aus dem Urlaub zurückgekommen, von zu Hause, aus dem Erzgebirge. Von der Öffnung der Grenze hier habe er nichts gewusst. Er kannte diesen Abschnitt immer nur mit Sperren und Todesstreifen. Und die Grenzer waren bei der Bevölkerung in der DDR nicht eben beliebt: 'Vor ein paar Wochen noch, da haben uns unsere Leute angespuckt', sagte er. 'Und jetzt, da kommen sie mit Blumen, Zigaretten, einem Bier. Und die aus dem Westen auch.' Der junge Mann war völlig aus der Fassung geraten, an diesem Abend brachen bei ihm Welten zusammen.
Aber auch ich habe sehr aufwühlende Empfindungen gehabt, nicht nur aufgrund solcher Erlebnisse. Ich bin immer wieder über die Grenze gewechselt. Einfach so. Es ist ja eigentlich so selbstverständlich, dass man aus einer Stadt hinaus auf das Land oder in eine angrenzende Gemeinde gehen kann. Aber so war es eben hier für uns Berliner 37 ½ Jahre lang nicht, seit Mai 1952.“
Zusammengestellt von Anke Mühlig
aus Gesprächen, Mailverkehr und einem Auszug aus einem Vortrag von
Holger Hübner (seinerzeit Redenschreiber
für den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Walter Momper),
gehalten am 13.12.1989 in West-Berlin
vor dem 2. internationalen Ost-West-Workshop über gemeinsame Sicherheit
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